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2003 Juristische Rundschau 1 (2003)

handle is hein.journals/jrcerdau75 and id is 1 raw text is: Januar Heft 1/2003

Positives als negatives Interesse
Beweiserleichterung beim Vertrauensschaden
Von Dr. Jan Dirk Harke, Berlin

Otto Bähr, einer der maßgeblichen Vertreter der Erklärungs-
theorie im ausgehenden 19. Jahrhundert, fand den Empfänger
einer irrtumsbehafteten Willenserklärung durch das von Jhering
entwickelte Institut der culpa in contrahendo' nicht hinreichend
geschützt:
»Ich halte nämlich das sog. »negative Interesse«, welches die auf culpa
in contrahendo gegründete Klage zum Gegenstand haben soll, und
welches daher jedesmal in einem solchen Fall vom Kläger dargelegt
werden müßte, für einen zu wenig praktikablen Begriff.... Es klingt
ja so einfach, daß der Eine den Anderen für das Nichtvorhandensein eines
vermeintlich abgeschlossenen Vertrags zu entschädigen habe. Fragt man
sich aber, wie denn nun eine solche Entschädigung sich bestimme, so
kommt man in die allergrößten Schwierigkeiten.... Der Fabrikant,
welchem eine Waare als »irrthümlich bestellt« zurückgeschickt wird,
kann allerdings die Verpackungs- und Versendungskosten leicht berech-
nen. Aber wie soll er den Schaden darlegen, der ihm vielleicht durch die in
Hinblick auf die Bestellung getroffenen Geschäftseinrichtungen (An-
käufe von Rohmaterial u.s.w.) erwachsen ist? - Der Pretiosenhändler,
dem ein aus seinem Laden entnommenes Stück »wegen Irrthums über
den Preis« zurückgeschickt wird, könnte Entschädigung nur fordern,
wenn er nachwiese, daß inzwischen ein Anderer dieses Stück ihm zu
gleichem Preise abgekauft haben würde. Aber wie soll er das beweisen,
wenn das Stück nicht einmal mehr in seinem Laden zum Ausgebot
gelegen hat?<
Zwar ist die von Bähr angegriffene Lösung in §§ 119, 122 BGB
Gesetz geworden. Die Lage des in seinem negativen Interesse
geschützten Gläubigers muß gleichwohl nicht stets so schlecht
sein, wie von Bähr befürchtet. Zumindest für eine Beweiser-
leichterung zugunsten des kaufmännischen Gläubigers gibt die
Schuldrechtsreform den Anstoß, die bisherige Dogmatik zum
Erfüllungsschaden das hinreichende Instrument:
1. Einführung
Nach § 284 BGB n.E hat ein zum Schadensersatz statt der
Leistung berechtigter Gläubiger die Möglichkeit, anstelle der
Kompensation des Schadens den Ersatz seiner Aufwendungen
zu verlangen, die er im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung
billigerweise machen durfte. Der Schuldner kann diesen An-
spruch abwehren, indem er nachweist, daß die Aufwendungen
auch ohne die anspruchsbegründende Pflichtverletzung ihren
Zweck verfehlt hätten. Gelingt ihm dieser Nachweis nicht, erhält
der in seinem positiven Interesse geschützte Gläubiger, was
typischerweise sein negatives Interesse ausmacht. Ein Unter-
schied zum Vertrauensschaden, dessen Ersatz §§ 122 Abs. 1,
179 Abs. 2 BGB und die Regeln zur culpa in contrahendo (jetzt
über § 311 Abs. 2, 3 BGB) vorschreiben, besteht nur insofern, als
der Anknüpfungspunkt einmal das Vertrauen auf den Leistungs-
erhalt, das andere Mal das Vertrauen auf die Geschäftsgültigkeit
ist. Da beides regelmäßig zusammenfällt, kommt man um die
Feststellung einer Disproportionalität nicht umhin: Der zum
Ersatz seines positiven Interesses berechtigte Gläubiger kann
wahlweise auch den Inhalt seines negativen Interesses fordern.

Der in seinem negativen Interesse geschützte Gläubiger ist hier-
auf beschränkt. Sein positives Interesse an dem nicht zustande
gekommenen Geschäft darf er nicht geltend machen. Ein An-
spruch dieses Inhalts steht ihm nur dann zu, wenn er den
konkreten Nachweis führt, daß ihm im Vertrauen auf die Wirk-
samkeit des Geschäfts ein ebenso vorteilhaftes Ersatzgeschäft
entgangen ist.
Die Ungleichbehandlung des zum Erfüllungs- und des zum
Vertrauensschadensersatzberechtigten Gläubigers weckt auf den
ersten Blick kein Unbehagen. Sie ist Folge einer unterschiedlichen
gesetzlichen Regelung der beiden Anspruchsarten. Da § 284 BGB
nur für den Schadensersatz statt der Leistung gilt, ist es scheinbar
konsequent, wenn der Gläubiger, der Ersatz seines Vertrauens-
schadens begehrt, nicht zwischen zwei verschiedenen Arten des
Interesseausgleichs wählen darf. Ins Wanken gerät dieser Schluß
allerdings, wenn man die Entstehungsgeschichte von § 284 BGB
betrachtet. Ihren Vorläufer hat diese Bestimmung in der soge-
nannten Rentabilitätsvermutung. Noch heute gestattet diese ei-
nem Gläubiger, dessen Anspruch auf Ersatz seines Erfüllungs-
schadens dem alten Recht unterliegt, vom Schuldner auch in
diesem Rahmen Kompensation der Aufwendungen zu verlangen,
die er im Vertrauen auf den Leistungserhalt getätigt hat. Zum
Gegenstand des positiven Interesses werden sie durch die An-
nahme, die ordnungsgemäße Durchffihrung des Vertrages hätte
die Aufwendungen des Gläubigers rentabel gemacht, indem sie
vom Wert der erwarteten Leistung gedeckt seien3. Diese Vermu-
tung gilt nur für Aufwendungen auf den Leistungsgegenstand
selbst4. Sie versagt, wenn der Gläubiger die Leistung des Schuld-
ners nicht zu wirtschaftlichen, sondern ideellen Zwecken ein-
setzen will5. Im übrigen ist die Vermutung zwar theoretisch
widerleglich, praktisch jedoch nur schwer zu überwinden. Der
Schuldner, der typischerweise keinen genauen Einblick in den
Betrieb des Gläubigers hat, ist im Regelfall darauf beschränkt, die
allgemeine Unwirtschaftlichkeit der von ihm versprochenen
Leistung darzustellen. Er setzt sich damit dem Verdacht aus,
den Gläubiger beim Vertragsschluß übervorteilt zu haben -
ein Verdacht, der dem Schuldner auch dann nicht gut bekommt,
wenn sein Gegenstand die Schwelle des Rechtserheblichen unter-
schreitet.
Bestand die Möglichkeit zur Liquidation frustrieter Aufwen-
1 Zu deren Anwendung auf Irrtumsfälle Jhering, Jahrbücher 4 (1861) 75 ff.
2 Vgl. Jherings Jahrbücher 14 (1875) 422 f.
3 Vgl. BGH, NJW 2000, 508, HUBER, Handbuch des Schuldrechts: Leis-
tungsstörungen II (1999) 272ff. m.w.N.
4 BGHZ 114, 193, 199 f.; HUBER, Leistungsstörungen II 273f.
5 BGHZ 99, 182, 196 ff.; HUBER, Leistungsstörungen II 275f., 279 ff., der
sich für die Rechtfertigung dieser Grenze auf § 253 BGB beruft. Umge-
kehrt HANS STOLL, FS Duden (1977) 651ff., der den Grund für die
Ersatzfähigkeit frustrierterAufwendungen darin erkennt, daß der Schuld-
ner sich diesem für ihn erkennbaren Maßstab unterworfen hat, und
folglich bei Geschäften zu ideellen Zwecken zu einer durch den Nachweis
der fehlenden Rentabilität nicht abwendbaren Ersatzpflicht kommt.

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