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44 Natur und Recht 1 (2022-2023)

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                                                                                         NuR   (2022) 44:1-10 1


 AUFSATZE



 https://doi.org/10.1007/s10357-021-3944-x

 Bundesverfassungsgericht und Klimaschutz -

wenn die Zukunft Ober die Gegenwart mitentscheiden darf

Katharina   Kotulla   und  Michael   Kotulla



© Der/die Autor(en) 2022. Dieser Artikel ist eine Open-Access-Publikation.


Das Bundesverfassungsgericht (BJ;erfG) hat in seiner weithin be-
achteten und  fir viele fiberraschendet Entscheidung vom
24. 3. 2021 nicht wra dem Klimaschl:t :u einem verfassungs-
rechtlich neuen Stellenwert verhol/fen, sodern auch in den Grund-
rechten einen bisher nicht gekanuten intertemporalen Charakter
identifiziert. Der nachfolgeude Beitrag befasst sich kritisch mit der
daraus resultierenden Bedeutung und den damit verbundenen Fol-
gent desJudikats.

1. Einflhrung

Hintergrund  der ohne  mundliche Verhandlung  und  ein-
stimmig  ergangenen Entscheidung  des BVerfG' sind vier
sich gegen Vorschriften des Bundes-Klimaschutzgesetzes
(KSG)  vom  12.12.20192 und die Unterlassung zusstzlicher
staatlicher Maf3nahmen zur Reduzierung  von  Treibhaus-
gasemissionen gerichtete Verfassungsbeschwerden, darun-
ter drei auch von Minderjihrigen erhoben. Insoweit wird
insbesondere moniert, der Staat habe keine ausreichenden
Regelungen  zur alsbaldigen Reduzierung von  Treibhaus-
gasen, allem voran von  Kohlendioxid (CO2), geschaffen.
Diese abet seien erforderlich, um die Erwsrmung der Erde
bei 1,5 Grad Celsius oder wenigstens deutlich unter 2 Grad
Celsius zu begrenzen. Im Kern  legt das Gericht dabei als
Gegenstand  seiner Prfifung den §3 Abs. 1 S. 2 sowie den
§4  Abs. 1 Satz 3 (i.V.m. Anlage 2) und Abs. 6 KSG  zu-
grunde, deren Vereinbarkeit es vornehmlich mit dem  aus
Art. 2 Abs. 1 GG hergeleiteten Schutz ,,simtlicher mensch-
licher Freiheitsbetstigungen3 und dem in Art. 2 Abs. 2
S. 1 GG  verankerten Grundrecht auf Gesundheit und Le-
ben  der Beschwerdefunhrer (BE) priift. Bemerkenswerter-
weise geht das Gericht insoweit von einer ,,objektivrecht-
lichen Schutzverpflichtung des Staates ,,auch in Bezug auf
kfinftige Generationen aus.4 Erginzend hierzu wird als
zentraler MaBstab der aus Art. 20a GG abgeleitete Auftrag
des Staates zum Schutz des Klimas heranzugezogen. Dabei
hatten die Verfassungsbeschwerden uberhaupt nur insoweit
Erfolg, als §3 Abs. 1 S. 2 und §4 Abs. 1 Satz 3 (i.V.m. An-
lage 2) KSG als mit den Grundrechten fur unvereinbar be-
funden wurden,  soweit diese lediglich jihrliche CO2-Emis-
sionsreduzierungsmengen  bis zum Jahre 2030 vorsehenden
Regelungen  keine hinreichenden MaBgaben   fur die wei-
tere Emissionsreduzierung ab demjJahre 2031 enthielten.
  Die Reaktionen  auf diesen Beschluss sind gerade in der
rechtswissenschaftlichen Literatur bis jetzt nicht nur in ih-
rer Anzahl, sondern auch in ihrer Bewertung beachtlich.
Sie fallen zwar uberwiegend auffsllig positiv5, wenn auch


Cand. jur. Katharina Kotulla,
Universitat Bielefeld,
Bielefeld, Deutschland
Prof. Dr. Michael Kotulla, M. A.,
Lehrstuhl fur Offentliches Recht, insbesondere Umweltrecht,
und Verfassungsgeschichte, Geschaftsfiihrender Direktor
des Instituts fir Umweltrecht, Universitat Bielefeld,
Bielefeld Deutschland


durchaus mitunter noch unzufrieden, weil weitere Fragen
aufwerfend' bzw. nicht weitgehend genug7 oder doch eher
unkritisch', wenn nicht sogar euphorisch aus, sofern der
Entscheidung  etwa die Bedeutung  einer ,,revolutioniren
Wende  in prozessualer wie materieller Hinsicht beschei-
nigt wird, da nunmehr   gerichtlich nachgeprfift werden
kbnne, ob der Gesetzgeber seiner Pflicht zum Klimaschutz
effektiv nachkomme.9 Dennoch  finden sich mitunter auch
kritische Stimmen,  die den Beschluss fur ,,bkonomisch
und bkologisch unsinnig, verfassungsrechtlich falsch hal-
ten.10 Dazwischen angesiedelt gibt es vereinzelt Bedenken
fber grundrechtsdogmatisch bedeutsame Aussagen des Ge-
richts und Ansitze zu deren Ubertragbarkeit etwa auf an-
dere Umweltbereiche12 sowie  Uberlegungen  zur Geltung
der deutschen Grundrechte  fber die nationalen Grenzen
hinaus13. Schlie3lich gibt es verhalten skeptische Reaktio-
nen, die etwa bezweifeln, ob es uberhaupt die Aufgabe des
BVerfG  sein kbnne, eigentlich dem demokratischen legi-
timierten Gesetzgeber zukommende  Rahmenentscheidun-
gen gleichsam an sich zu ziehen.14

2. Staatsziel ,,Klimaschutz

Das BVerfG  stellt - fibrigens nicht zum ersten Mal - fest,
dass Art. 20a GG den Staat zum Klimaschutz verpflichte.16
Hinter dieser groben Verkfirzung versteckt sich die Ver-
pflichtung des Staates zum Schutz vor  den nachteiligen



1) BVerfG, Beschl. v. 24. 3.2021 - 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20,
   1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20.
2) BGBl. I S. 2513.
3) BVerfG, Beschl. v. 24.3.2021 - 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20,
   1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, Rdnr. 184.
4) BVerfG, Beschl. v. 24.3.2021 - 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20,
   1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, LS 1.
5) Vgl. etwa Schlacke, NVwZ 2021, 912, 914; Wagner, NJW 2021,
   2256ff.
6)  Wickel, ZUR 2021, 332ff.; Frenz, EnWZ 2021, 201ff.; Burgi,
   NVwZ   2021, 1401 ff.
7) Ekardt/Hel, ZUR 2021, 579ff.
8) Breidenbach, ZRP 2021, 244ff.
9) Callies, ZUR 2021, 335, 335.
10) Murswiek, in: Welt v. 29.8.2021, Stand 12.12.2021, abrufbar
   unter https://www.welt.de/wirtschaft/plus233215175/Klima-
   Urteil-Oekonomisch-und-oekologisch-unsinnig-verfassungs-
   rechtlich-falsch.html.
11) So etwa: Fafibender, NJW 2021, 2085, 2088ff.; E. Hofmann,
   NVwZ   2021, 1587ff.; Schlacke, NVwZ 2021, 912ff.
12) Stubenrauch, ZUR 2021, 617 ff.
13) Markus, ZUR 2021, 595 ff.
14) Ruttloff/Freihoff, NVwZ 2021, 917ff.; Frenz, EnWZ 2021, 201,
   208.
15) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.3.2007 - 1 BvF 1/05, BVerfGE 118,
   79, 110f; Urt. v. 5.11.2014 - 1 BvF 3/11, BVerfGE 137, 350,
   368f u. 378; Beschl. v. 30.6.2020 - 1 BvR 1679/17, 2190/17,
   BVerfGE 155, 238, 278.
16) BVerfG, Beschl. v. 24.3.2021 - 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20,
   1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, Rdnr. 197f.


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