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35 Natur und Recht 1 (2013)

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                                                                                           NuR  (2013) 35:1-12  1


 AUFSATZE



 DOI: 10.1007/s10357-012-2390-1

 Entwicklungslinien und Bilanz des Naturschutzrechts

 Rainer  Wolf



© Springer-Verlag 2013


O/woh   der Naturschutz bei der Unterschutzstellung von streng zu
schuftzenden Flachen in den letzten jahren erhebliche Erfolge vor-
weisen kaon, bleibt sein Ertrag /beim Schutz der Artenvielfalt
gleichwohl ernrichternd. Der folgelnde Beitrag versucht, die Ent-
wicklungslinien des deutsche N aurschutzrechts seit dem 19. Jahr-
hundert nach-utzeichnen und eine Bilanz zu ziehen.

1. Naturschutz   im Vorfeld  gesetzlicher Regelungen

Erste Ansstze fur den Schutz der Natur entwickelten sich
im  19. Jahrhundert. Hintergrund daftir war die zunachst
zaghaft und  dann immer   starker einsetzende Industriali-
sierung und  Urbanisierung sowie  die dadurch ausgei6ste
rapide Zunahme   der Bev6lkerung.  Treibende  technische
Kraft dabei war als die Emanzipation der modernen   Ge-
sellschaft von den Restriktionen der Nutzung von erneuer-
baren Ressourcen. Die  zunehmende  Nutzung  nichterneu-
erbarer Ressourcen  setzte gewaltige Wachstumsprozesse
frei, verursachte abet auch schwere Umweltbeeintrachti-
gungen  in Form von Emissionen  schadlicher Stoffe in Luft
und  Wasser sowie ein steigendes Aufkommen   von Abfil-
len. Der gesellschaftliche Wandel schlug auch auf die Bo-
dennutzung  durch. Durch Entwisserung  von Feuchtgebie-
ten, Kanalisierung der gro3en  Fliisse sowie durch die in
der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts einsetzende Me-
chanisierung und  Chemisierung  der landwirtschaftlichen
Produktionsweise  wandelten sich die vormals extensiv ge-
nutzten Flschen in intensiv genutzte agrarische Funktions-
rsume.' Vormoderne  rechtliche Nutzungsmuster der natiir-
lichen Ressourcen in Form der Allmende und der Regalien
wurden  in Privateigentum iiberfiihrt.2 Die dadurch ausge-
16sten Veranderungen der landschaftlichen Strukturen hat-
ten erhebliche Auswirkungen   auf die Artenvielfalt. Diese
wurden   zunachst allerdings weniger als Ausprsgung  ei-
ner 6kologischen Krise wahrgenommen,   sondern im Kon-
text des Naturbegriffs der Romantik als Verlust kultureller
Identitst interpretiert. Der friihe Naturschutz findet seine
Wurzeln  in davon gespeisten gesellschaftlichen Bewegun-
gen  zum  Schutz von Naturdenkmalen,   zum  Vogelschutz
und  zum Tierschutz.
  Der Begriff ,,Naturdenkmal  wurde von  Alexander von
Humboldt   gepragt.3 Als Ausdruck der Geschichte und des
Charakters  einer Landschaft sollten markante Einzelob-
jekte als identititsstiftende Elemente der kulturellen Ent-
wicklung  eines Volkes bewahrt werden. Es ging damit um
den Erhalt besonders seltener, einzigartiger und asthetisch
herausragender Naturbestandteile. Heimatkunde  und  Na-
turkunde  bildeten lange Zeit ein untrennbares didaktisches
Duett. Line  erste praktische Manifestation dieses Natur-
schutzverstandnisses findet sich in Deutschland 1836 in den
Bemihungen des preu3ischen Staats,  den  Drachenfels vor
seiner drohenden Zerstbrung  als Steinbruch durch Ankauf
der Flsche zu bewahren.4 Einen entsprechenden Schutz er-
fuhr auch  1852 die Teufelsmauer im  Harz. Die ,,Verqui-


Prof. Dr. Rainer Wolf,
TU  Bergakademie Freiberg,
Freiberg, Deutschland


ckung  von  Natur und  Nation5  lasst sich zwar auch in
den Unterschutzstellungen des Yosemite Tals (1864/1890)
und der Grundung   des Yellow Stone Nationalparks (1872)
nachweisen, jedoch  liegt ihrem Schutz ein  anderer Be-
zug zugrunde. Leitbild der friihen deutschen Unterschutz-
stellungen war nicht der Schutz der Wildnis, der fur den
amerikanischen  Nationalparkgedanken  und spster fur die
gro3en  afrikanischen Schutzgebiete prsgend war, sondern
der Erhalt eines Naturdenkmals in einer kulturell geprsg-
ten Landschaft.' Die Verbindungen  zu  den Wurzeln  des
damals  gleichzeitig im Entstehen begriffenen Denkmal-
schutzes sind offenkundig. Entsprechend entwickelte sich
der Naturschutzgedanke  in Frankreich um die Kulturland-
schaft der ,,patrimoine und in England um den  Council
for the Protection of Rural England.7 Ihm fehlte sowohl
die naturwissenschaftliche Grundierung,   die als Lehre
von der Okologie  im 19. Jahrhundert insbesondere durch
Ernst Haeckel  entwickelt wurde, als auch der Bezug auf
ressourcenschonende Wirtschaftsformen,  wie er sich etwa
im  damals  bereits anerkannten Bewirtschaftungsmodus
des Waldes im Topos  der Nachhaltigkeit manifestierte. In
ihnlicher Weise blieb die ab Mitte des 19. Jahrhunderts ein-
setzende Entwicklung des modernenJagdrechts  durch Auf-
hebung  der grundherrschaftlichen Jagdregalien und deren
Ersatz durch das Reviersystem auf3erhalb des Reflexions-
horizontes des friihen Naturschutzes.


1) Vgl. dazu Blackbourn, Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte
  der deutschen Landschaft. 2007; Kster, Geschichte der Land-
  schaft in Mitteleuropa. Von der Eiszeit bis zur Gegenwart. 2010,
  S. 279ff.
2) Vgl. dazu Kloepfer/Franzius/Reinert, Zur Geschichte des deutschen
  Umweltrechts, 1994, S. 10ff.
3) Alexander von Humboldt, Reise in die Aquinoktial-Gegenden des
  neuen Kontinents, hrgg. von Ottmar Ette, 1. Bd., 1991, S. 623;
  vgl. dazu Wettengel, Staat und Naturschutz 1906-1945. Zur Ge-
  schichte der Staatlichen Stelle f r Naturdenkmalpflege in PreuBen
  und der Reichsstelle fur Naturschutz, in: Historische Zeitschrift
  1993, S. 357.
4) Vgl. dazu Schmoll, Sch6nheit, Vielfalt, Eigenart. Die Formierung
  des Naturschutzes um 1900, seine Leitbilder und ihre Geschichte,
  in: Frohn/Schmoll (Hg.), Natur und Staat. Staatlicher Naturschutz
  1906-2006, 2006,S. 14.
5) Radkau, Natur und Macht. Eine Weltgeschichte der Umwelt.
  2002, S. 271.
6) Erst 1970 wurden mit der Grindung des Nationalparks Bayeri-
  scher Wald Elemente des amerikanischen Leitbilds nach Deutsch-
  land importiert (vgl. dazu Ott/Potthast/Gorke/Nevers, Uber die
  Anfange  des Naturschutzgedankens in Deutschland und den
  USA,  in: Heyen (Hrsg.), Naturschutz und Naturnutzung in der
  europaischen Rechts- und Verwaltungsgeschichte, 1999, S. 36 ff.).
7) Vgl. dazu Radkau, Die Aera der Okologie. Eine Weltgeschichte.
  2011, S. 179.
8) Dieser wurde allerdings auf die Gewahrleistung eines dauerhaften
  und maximierten Holzertrags durch die Entwicklung monokul-
  tureller Nutzwalder verkiirzt. Die Waldwirtschaft des 19. Jahr-
  hunderts konnte so zwar die massiven Entwaldungen der friiheren
  Jahrhunderte kompensieren. Dies erfolgte jedoch ohne Rflcksicht
  auf die dkologischen Dimensionen der Ressourcennutzung (vgl.
  zum  Funktionswandel des Begriffs Gruber, Die Entdeckung der
  Nachhaltigkeit. Naturgeschichte eines Begriffs. 2010).


I  Springer

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