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2013 Freilaw: Freiburg L. Students J. 1 (2013)

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      Das Verhaitnis von Religion und Staat auf Unionrechtsebene

                                           stud. jur. Volker Herbolsheimer*

Neben  der  dauerhaften  Friedenssicherung  schrieb sich die Europaische  Gemeinschaft   seit dem  Zweiten  Weltkrieg
auch  das Ziel, durch volkswirtschaftliche Verflechtung neuen  Integrationsbedarf zu  schaffen, auf die Fahnen,  wel-
cher Europa  zu einer,,Wertegemeinschaft   heranreifen lassen solltel. Will nun die EU auch die soziale und kulturel-
le Integration vorantreiben, kommt  sie an den Religionsgemeinschaften   in Europa  nicht vorbei. Denn nichts hat die
Kultur in Europa so  sehr gepragt wie die ,,grolen Religionsgemeinschaften   Judentum,   Islam und - insbesondere  -
das Christentum'.  Die durch die Religionsgemeinschaften   entwickelten Moralvorstellungen  und Werte  entfalten eine
besondere   Ausstrahlungskraft auf das  soziale Wesen,  die nicht zu untersch~tzen  ist. Auch wenn  sich die Europai-
sche  Union - in Anlehnung  an die Vorstellung eines ,modernen  Staates - als sakularisiert betrachtet', bedeutet dies
noch  lange nicht, die Religionsgemeinschaften   nicht beracksichtigen  zu massen.  Ein  sdkularisierter Staat negiert
nicht die Religion, nimmt sich aber auch keiner an. Es  stellt sich daher die Frage, inwiefern Europa auch die Religi-
onen  in seinem  Integrationsprozess beachtet. Gibt es ein Europaisches  Religionsrecht?  Hat die EU  in dieser Mate-
rie Oberhaupt Kompetenzen?


In der Frage generell nach einer europarechtlichen Kompetenz
muss  man zuniichst stets das Prinzip der begrenzten Einzeler-
miichtigung gem.  Art. 5 II EUV  beachten. Danach  darf die
Gemeinschaft  nur in einem solchen Bereich Regelungen erlas-
sen, in dem ihr ausdriicklich ein Kompetenztitel von den Mit-
gliedsstaaten tibertragen worden ist. Im Bereich des Religions-
rechts ist dies aber nicht der Fall: Weder im Zielsetzungskata-
log (Art. 2 AEUV) noch in den Aufgaben- und Titigkeitskata-
logen (Art. 3 ff. AEUV) ist von einer Zustiindigkeit der Ge-
meinschaft in religionsrechtlichen Fragen die Rede.

Die Realitiit sieht aber bei Weitem anders aus. Durch die Rege-
lung von genuin nichtreligionserheblichen Bereichen durch die
EU  kann das Gemeinschaftsrecht z.B. ,,im Mantel einer Wirt-
schaftskompetenz' erheblichen Einfluss auf die Religionsge-
meinschaften austiben. Man spricht daher auch von einer mit-
                       2
telbaren SachkompetenZ   ,,Solche mittelbaren, d.h. nicht reli-
gions-  oder kirchenspezifischen Folgewirkungen   des EG-
Rechts auf die Rechtstellung der Kirchen konnen praktisch auf
jedem  Aufgabengebiet der EG  entstehen, soweit dieser auch
die Kompetenz  zur Setzung sekundiiren Europarechts zusteht
oder das Primirrecht (...) betroffen ist3. So werden Religions-
gemeinschaften bspw. durch die Antidiskriminierungsrichtlinie
(2000/78/EG)  betroffen, ohne dass die Union  explizit und
primir diese treffen wollte. Auch die Richtlinie 93/119/EG, die
zum  nationalen Tierschutz von  Tieren  zum  Zeitpunkt der
Schlachtung   oder  Thtung   beitriigt, und die  Richtlinie
89/552/EWG, die eine Werbeunterbrechung von Gottes-
diensttibertragungen oder vergleichbaren Sendungen religiasen
Inhalts von einer Dauer unter 30 Minuten verbietet, bertihren
die Religionsgemeinschaften.  Besonders  deutlich wird die
mittelbare Sachkompetenz ohnehin bei Art. 19 AEUV. Danach
darf die EU  im  Rahmen   ihrer Zustindigkeiten ,,geeignete
Vorkehrungen  treffen, um Diskriminierungen aus Grunden (...)


* Der Autor ist Student an der Albert-Ludwigs-Universitat Freiburg i.B. im 10.
Semester.
' Kirchhof in: v. Campenhausen (Hrsg.), Deutsches Staatskirchenrecht zwi-
schen Grundgesetz und EU-Gemeinschaft, 147 (155).
2 Miickl, Europaisierung des Staatskirchenrechts, S. 411.
Haberle in: Hiberle/Miiller, Menschenrechte, S. 85 (96 ff.).


der Religion oder der Weltanschauung (...) zu bekdimpfen. Es
handelt sich insoweit um eine AnnexkompetenZ4

Dennoch  ergeben sich fir die Unionsorgane im Rahmen  ihrer
Regelungskompetenz   einige Schranken. Nach Art. 17 AEUV
muss die EU bei Erlass von Sekundirrecht stets darauf achten,
den Status der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaf-
ten nicht zu beeintriichtigen. Die von den Mitgliedsstaaten
zugunsten  des Status dieser Gemeinschaften  vorgesehenen
Freiriiume miissen geschtitzt bleiben . Will die Union sekundii-
res Recht setzen oder anwenden, so hat sie zudem die Grund-
rechte zu beachten: Mit dem Vertrag von Maastricht sind die
Grundrechte der Europiiischen Grundrechtscharta (GrCh) fes-
ter Bestandteil des Unionsrechts geworden, seit dem Vertrag
von Lissabon ist die Union der Europiiischen Menschenrechts-
konvention beigetreten. So kann bspw. Art. 22 GrCh kompe-
tenzlimitierenden Charakter haben, da dieser die Vereinheitli-
chung  von Kultur, Religion und Sprache verbietet. Das aber
wohl  wichtigste Grundrecht ist die Religionsfreiheit (Art. 10
GrCh, Art. 9 EMRK).  Dies kann insbesondere bei der Anwen-
dung  der kraft mittelbarer Sachkompetenz  erlassenen Vor-
schrift fir die Religionsgemeinschaft positive Beachtung fin-
den.
Fraglich ist, ob Art. 4 Abs. 2 EUV - dem Gebot der Achtung
der nationalen Identitiit - ebenfalls eine Kompetenzschranke
darstellen kann. Als nationale Identitiit bezeichnet man dabei
zumeist siimtliche Institutionen und Werte, die den Staat als
solchen ausmachen  bzw.  die den  Staat in seiner konkreten
Gestalt priigen6. Dazu gehart bspw. zweifelsfrei die Souveriini-
tiit des Mitgliedsstaates. Einheit besteht ferner darin, dass zu-
mindest die Grundprinzipien  des nationalen Religionsrechts
zur nationalen Identitiit iSv Art. 4 Abs. 2 EUV geharten7. So
werden  ffir die Bundesrepublik Deutschland das Verbot der
Staatskirche, die Religionsfreiheit und das religionsgemein-
schaftliche Selbstbestimmungsrecht angeffihrt . Umstritten ist
dabei allerdings, ob Art. 4 Abs. 2  EUV   eine Kompetenz-
schranke darstellt. Nach einer Ansicht ist dies zweifelsohne der


4 Epiney in: Calliess/Ruffert, Das Verfassungsrecht der Europaischen Union,
Art. 13 EGV, Rn. 6.
Classen in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europaischen Union, Art.
17 AEUV, Rn. 3.
6 Bleckmann, JZ 1997, 265 (266).
Anders Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, Rn. 31.
Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 413.


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Offentliches Recht


Herbolsheirner, Religion und Staat auf Unionsebene


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