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38 Natur und Recht 1 (2016)

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                                                                                           NuR  (2016) 38:1-11  1


 AUFSATZE


 DOI: 10.1007/si 0357-015-2942-2

Aktuelle Entwicklungen der naturschutzrechtlichen

Eingriffsregelung unter besonderer Bericksichtigung

von Anlagen fur erneuerbare Energien

Annette   Guckelberger und Philipp Singler



© Springer-Verlag 2016


Die vom Bund  aufgrund seiner konkurrierenden Gesetzgebungs-
kompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG   erlassene natur-
schutzrechtliche Eingriffsregelung in §513ff BNatSchG ist nun
seit etwas mehr als fanfJahren in Kraft. Nach einer solchen Zeit-
spanne bietet es sich an, auf aktuelle Entwicklungen und hchst-
richterliche Rechtsprechung zur Eingrjffsregelung einzugeh en. Da
Anlagen fir erneuerbare Energien einerseits einen bedeutsamen
Beitragfar den Klimaschutz leisten, andererseits mit Eingriffen in
Natur und  Landschaft einhergehen, stehen diese im Fokus des
nachfolgenden Beitrags.

1. Einleitung

Die  naturschutzrechtliche Eingriffsregelung, deren Ur-
sprnge  auf § 8 BNatSchG  in der Fassung vom 10. 11. 1976
zurckgehen,'  geh6rt seit langem zum  naturschutzrechtli-
chen Instrumentenkasten2 und hat sich zum Schlasselbegriff
bzw. Kernbestandteil des modernen  Umweltrechts  entwi-
ckelt. Nach ihrer Neustrukturierung im Jahre 20024 erhielt
sie durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Natur-
schutzes und der Landschaftspflege vom 29.7.20095 ihre heu-
tige Gestalt.6 Dabei hat der Bundesgesetzgeber in § 15 Abs. 2
BNatSchG   die Ausgleichs- den Ersatzmaflnahmen  gleich-
gestellt. Auflerdem wurden die Ersatzmaflnahmen erstmals
bundesrechtlich ausgeformt.' Auf Windkraftanlagen, die in
der  deutschen ausschliefllichen Wirtschaftszone errichtet
und betrieben werden, findet die naturschutzrechtliche Ein-
griffsregelung keine Anwendung, wenn sie bis zum 1. 1.2017
genehmigt  worden sind.8 Seit dem am 24.10.2015 in Kraft
getretenen Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz9 gilt § 18
Abs. 3 S. 2 BNatSchG  gem. §246 Abs. 16 BauGB  fur Vor-
haben zur Flichtlingsunterbringung i. S. d. §246 Abs. 9-13
BauGB   entsprechend. Danach kann die zustandige Geneh-
migungsbeh6rde   von einer Nichtberhrung der Belange
von Naturschutz und Landschaftspflege ausgehen, wenn sich
die zustsndige Beh6rde fur Naturschutz und  Landschafts-
pflege nicht innerhalb eines Monats gesu3ert hat.

2. Konkurrierende   Gesetzgebungskompetenz
des Bundes   mit Abweichungsbefugnis der Lnder

Der Bund  hat die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung im
BNatschG  2010 aufgrund seiner ihm seit der F6deralismusre-
form 2006 zustehenden konkurrierenden  Gesetzgebungsbe-
fugnis fur den Naturschutz und die Landschaftspflege (Art. 74
Abs. 1 Nr. 29 GG) als unmittelbar anwendbare Vollregelung
ausgestaltet.10 Allerdings steht den Lsndern im Bereich des
Naturschutzes und der Landschaftspflege gem. Art. 72 Abs. 3


Univ.-Prof Dr. Annette Guckelberger,
Inhaberin des Lehrstuhls fnr Offentliches Recht,
Philipp Singler, wissenschaftlicher Mitarbeiter,
Universitat des Saarlandes,
Saarbrficken, Deutschland


S. 1 Nr. 2 GG die Befugnis zum Erlass abweichender Rege-
lungen zu. Davon  haben sie oftmals Gebrauch gemacht, so
dass sich die mafigebliche Rechtslage nur durch einen er-
gsnzenden  Blick in das jeweilige Landesrecht bestimmen
hssst. Dadurch ist die Rechtslage schwer aberschaubar ge-
worden.  Zu beachten ist jedoch, dass die im Klammerzu-
satz des Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GG genannten Materien
von der Abweichungsbefugnis  ausgenommen   sind. Deshalb
ist furjede abweichende Landesregelung gesondert zu prfen,
ob sie von der Abweichungsbefugnis gedeckt ist.
  Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GG verwehrt den Lsndern ein
Abweichen  von den ,,allgemeinen Grundstze[n] des Natur-
schutzes. Darunter versteht man den dieses Rechtsgebiet ins-
gesamt prsgenden Kernbereich,12 also all diejenigen Grund-
sstze, die zur Gewshrleistung eines wirksamen Naturschutzes
erforderlich sind und daher bundesweit gelten mussen.13 Auf
diese Weise werden einheitliche Grundlinien geschaffen, die
v. a. die Vereinbarkeit mit unionsrechtlichen Verpflichtungen
sicherstellen.14 Kennzeichnend fur einen allgemeinen Grund-
satz ist, dass er regelmsBig nur abstrakten Inhalt hat und sich
nicht mit Detailfragen auseinandersetzt.15 Nach den Geset-
zesmaterialien sind dies diejenigen Regelungen, die ,,insbe-
sondere die Erhaltung der biologische[n] Vielfalt und [die]
Funktionsfihigkeit des Naturhaushalts sicherstellen.16 Laut


1) Gesetz fiber Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnatur-
   schutzgesetz - BNatSchG) vom 10. 11.1976, BGBl. I, 3574. Zum
   Reichsnaturschutzgesetz Hnes, NuR 2015, 661 if.
2) Ekardt/Hvvivg, NuR 2013, 694, 695.
3)  Guckelberger, in: Frenz/Mfiggenborg, BNatSchG, 2. Aufl. 2016
    (i.E.), 13 Rdnr. 4; Lau, NuR 2011, 681, 681 und Lutkes, in:
    Lfftkes/Ewer, BNatschG, 2011, 5 13 Rdnr. 1 sprechen vom zen-
    tralen Instrument des Naturschutzrechts; ebenso Plogmann, Na-
    turschutzrechtliche Konfliktbewaltigung, 2000, S. 22.
4) Gesetz zur Neuregelung des Naturschutzes und der Landschafts-
   pflege vom 25.3.2002, BGBl. I S. 1193; dazu Guckelberger (Fn. 3),
   5 13 Rdnr. 2; weitergehend Koch, in: Kerkmann, Naturschutz-
   recht in der Praxis, 2. Aufl. 2010, 54 Rdnr. 11.
5) BGBl. 2009 I S. 2542.
6) Bundesnaturschutzgesetz vom 29.7.2009, BGBl. I S. 2542.
7) Ausfihrlich Czybulka, in: Czybulka, 35 Jahre Eingriffsregelung,
   2013, S. 145 f.; Guckelberger (Fn. 3), 5 13 Rdnr. 3.
8) Vgl. hierzu 556 Abs. 3 BNatSchG; s. auch Czybulka, EurUP
   2012, 229 ff.
9) BGBl. 2015 I S. 1722ff.
10) Durner, in: Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl.
   2014, 57 Rdnr. 10.
11) Vgl. dazu Guckelberger (Fn. 3), 5 15 Rdnr. 7ff.
12) Petschulat, NuR 2015, 386, 387f.
13) Guckelberger (Fn. 3), 5 13 Rdnr. 8; s. auch Degenhart, in: Jochum/
   Elicker/Lampert/Bartone, FS f r Rudolf Wendt, 2015, S. 781,
   795; Kock/Wolf NVwZ 2008, 353, 357ff.; Michler/Mller, NuR
   2011, 81, 82; Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, 249, 257ff.
14) BT-Drs. 16/813, S. 11; Petschulat, NuR 2015, 386, 387.
15) Petschulat, NuR 2015, 386, 388.
16) Guckelberger (Fn. 3), 5 13 Rdnr. 8; Kock/Wolf, NVwZ 2008, 353,
   359; Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, 249, 257 ff.


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