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2010 Juristische Rundschau 1 (2010)

handle is hein.journals/jrcerdau82 and id is 1 raw text is: JURISTISCHE RUNDSCHAU JR Das Zusammentreffen von Forderungspfändung und Zession bei hinterlegter Schuldsumme - Zur Reichweite der Sperrwirkung der Interventionsklage aus § 771 ZPO Rechtsanwalt Dr. Daniel Seebach, LL.M. (Chicago), Köln 1. Einleitung und Problemstellung Die Rechtsmittel und Rechtsbehelfe im Achten Buch der ZPO bieten den am Zwangsvollstreckungsverfahren Beteiligten und Dritten speziell auf die Verfahrenssituation zugeschnittene Re- aktionsmöglichkeiten, um ihre Rechte zu wahren. Aus der Spe- zialität dieser Rechtsbehelfe folgt eine grundsätzliche Vorrang- stellung gegenüber anderen Rechtsbehelfen, die ebenfalls denkbar wären. Der Vorrang besteht namentlich vor Klagen aus materiellem Recht.' Die Gründe, die die Sperrwirkung rechtfertigen, sind viel- schichtig. Zunächst haben die zwangsvollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe eine ausdrückliche Normierung sedes materiae erfahren. Der lex specialis-Satz lässt sich also auch insoweit fruchtbar machen.2 Im materiellen Recht wurzelnde Vollstre- ckungsrechtsbehelfe, zu denen die Interventionsklage nach § 771 ZPO zählt, zielen zudem gerade darauf ab, materiell-rechtliche Unzulänglichkeiten zu kompensieren, die in einem streng for- malisierten öffentlich-rechtlichen Zugriffssystem wie dem des Achten Buches unvermeidbar sind.3 In der Regel führt auch nur der speziellere Rechtsbehelf dazu, dass das Rechtsschutzbegehren des Klägers vollständig befriedigt wird, was etwa bei § 771 ZPO wegen der Rechtswirkungen der §§ 775 Nr. 1, 776 Satz 1 ZPO gemeinhin angenommen wird.4 Insofern erweisen sich die Behelfe des Achten Buches als rechts- schutzintensiver und damit qualitativ besser geeignet, um der allgemeinen Rechtsfriedensfunktion des Zivilprozesses gerecht zu werden. Weiterer Begründungstopos ist schließlich die Sach- nähe des zur Entscheidung (ausschließlich, § 802 ZPO) berufe- nen Gerichts.' So klar und einleuchtend diese Abgrenzung im Kern verläuft, so schwierig kann sie in den Randbereichen sein. Das zeigt ein Blick auf § 771 ZPO in den Fällen, in denen mehrere Forderungs- prätendenten um eine hinterlegte Schuldsumme konkurrieren. Zur Veranschaulichung diene folgender Ausgangsfall:6 Der Vollstreckungsgläubiger pfändet eine Forderung des Schuldners gegen den Drittschuldner. Der Forderungsinhaberschaft berühmt sich aber ein Dritter, indem er die vorherige Abtretung der Forderung an sich behauptet. Sowohl der Vollstreckungsgläubiger als auch der Abtretungs- gläubiger verlangen Zahlung. Der Drittschuldner bestreitet seine Schuld nicht, weiß aber nicht, an wen er befreiend leisten kann. Er hinterlegt den Geldbetrag bei der Hinterlegungsstelle am Amtsgericht (§ 1 Abs. 2 HinterlO) und verzichtet im Hinterlegungsantrag auf das Recht der Rücknahme. und seine beiden Abwandlungen: 1. Der Drittschuldner hinterlegt den Geldbetrag erst, nachdem auch der Dritte eine Pfändung der Forderung ausgebracht und den Dritt- schuldner zur Hinterlegung aufgefordert hat (vgl. § 853 ZPO). Dazu sei angenommen, dass auch der Dritte einen wirksamen Geldzah- lungstitel gegen den Schuldner besitze. 2. Der Drittschuldner hinterlegt den Geldbetrag, ohne dass einer der Prätendenten eine Pfändung der Forderung ausgebracht hat, etwa weil beide einen Abtretungssachverhalt behaupten. Der Beitrag untersucht anhand der Fallbeispiele, inwieweit der Dritte als Abtretungsgläubiger Rechtsschutz allein über § 771 ZPO erlangen kann. Es wird sich zeigen, dass bei bürgerlich- rechtlicher Hinterlegung wie im Ausgangsfall die These von der absoluten Sperrwirkung der Interventionsklage nicht überzeu- gend ist. Verkompliziert wird die Rechtslage dadurch, dass für die Hinterlegung eines Schuldbetrags durch den (Dritt-)Schuld- ner sowohl § 372 BGB als auch § 853 ZPO - dann als Vorstufe eines Verteilungsverfahrens nach §§ 872 ff. ZPO - in Betracht kommen, also zwei Hinterlegungsfälle voneinander abzugren- zen sind. II. Hinterlegung ohne vorangehende Zwangsvoll- streckung (2.Abwandlung) Am einfachsten stellt sich die Rechtslage ohne Pfändungsbezug dar. Die Hinterlegung erfolgt dann nach § 372 Satz 2, 2. Fall BGB. So, wie die 2. Abwandlung gebildet ist, konnte sich der Dritt- schuldner keine zuverlässige Kenntnis über den wahren Forde- rungsinhaber verschaffen. Da er auf das Recht der Rücknahme - also den Herausgabeanspruch gegen die Hinterlegungsstelle aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung - verzichtet hat, ist die For- derung gemäß §§ 378, 376 Abs. 2 Nr. 1 BGB erloschen. 1 S. zu § 771 ZPO nur BGHZ 58, 207, 213 = NJW 1972, 1048, 1049 unter 3 b; BGH NJW 1989, 2542 unter I. 2 Wieczorek/Schütze/SAL ZM A NN ZPO, 3. Aufl. 1999, § 771 Rdn. 22: »ver- drängende Gesetzeskonkurrenz«. 3 Vgl. Rosenberg/GAUL/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, 11. Aufl. 1997, § 5 IV 2, § 36 III 4. 4 Z.B. BROx/WALKER Zwangsvollstreckungsrecht, 8.Aufl. 2008, Rdn. 1400. 5 Vgl. GAUL ZZP 85 (1972) 251, 271 ff. 6 LACKMANN Zwangsvollstreckungsrecht, 8. Aufl. 2008, Rdn. 579. 7 OLG Oldenburg, OLGZ 1992, 488 unter 1; Staudinger/OLZEN BGB, 13. Bearb. 2006, Vorbem. 14 zu §§ 372 ff.; G E RN H U B E R Erfüllung, 2. Aufl. 1994, § 15 II 11 a. 8 Die schuldbefreiende Wirkung würde sogar eintreten, wenn dem Hin- terlegenden seine Unkenntnis vorwerfbar, der Tatbestand des §372 Satz 2, 2. Fall BGB also tatsächlich nicht gegeben ist. Es muss lediglich Januar Heft 1/2010 1

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