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2009 Juristische Rundschau 1 (2009)

handle is hein.journals/jrcerdau81 and id is 1 raw text is: Januar Heft 1/2009

Bein ab - arm dran
Eine Lanze für höhere Schmerzensgelder in Deutschland
Von Dr. Hans-Berndt Ziegler, Fachanwalt für Medizinrecht, Marburg; Matthias Ehl, Doktorand
Philipps-Universität Marburg

1. Einleitung
Tagtäglich berichtet die Presse über Mord und Totschlag, schwere
Körperverletzungen und Vergewaltigungen.' In den letzten Jah-
ren ist die Kindesmisshandlung vermehrt hinzu gekommen.2
Neben diesen spektakulären Beeinträchtigungen der körper-
lichen Unversehrtheit kommt es bei Verkehrs- oder sonstigen
Unfällen massenhaft zu Körperverletzungen. 2007 waren ins-
gesamt 431.419 Verletzungen bei Verkehrsunfällen zu beklagen.'
Die Zahl der ärztlichen Behandlungsfehler mit schweren körper-
lichen Folgen liegt nach neuesten Schätzungen des Robert-Koch-
Instituts bei rund 40.000 jährlich, also über 100 pro Tag.4 Ins-
gesamt sind es fast 3.000 Opfer pro Tag,' Tendenz weiter steigend.
Anwälte, Versicherungsjuristen und Richter müssen sich vor
diesem Hintergrund unablässig mit der Frage nach der Höhe
eines angemessenen Schmerzensgeldes für die Opfer auseinander
setzen. Wahrscheinlich ist die Bestimmung der Höhe eines
Schmerzensgeldanspruchs das häufigste juristisch zu lösende
Alltagsproblem.
Umso mehr muss es verwundern, dass es rationale Regeln für
seine Lösung nicht gibt. In der aktuellen Schmerzensgeldtabelle
des ADAC werden für den Verlust des linken Beines aufgrund
eines ärztlichen Behandlungsfehlers 20.000 £ als Schmerzensgeld
ausgeworfen.6 Ist dieser Betrag der Höhe nach angemessen? Wie
diese Frage zu beantworten ist, wird an den Universitäten nicht
gelehrt und in der Literatur nicht beschrieben. Auch das sonst
gebräuchliche Rüstzeug wie Lehrbücher und Kommentare gibt
keine Hilfestellung. Im Standardkommentar zum Bürgerlichen
Gesetzbuch von Palandt finden sich in der Kommentierung zu
§ 253 BGB, der den Schmerzensgeldanspruch regelt, nur wenige
aussagekräftige Zahlen, die überdies auf vergleichbare Fälle nicht
übertragen werden können, wie der Wortlaut der Fundstelle
zeigt: »Die Bemessung des Anspruchs bei einem nach der Ver-
letzung alsbald eingetretenen Tod erfordert eine Gesamtbetrach-
tung aller Beeinträchtigungen unter besonderer Berücksichti-
gung von Art und Schwere der Verletzung und des Zeitraums
zwischen Verletzung und Tod (BGH NJW 98, 2741: Tod nach
baldigem Verlust des Bewusstseins und 10 Tagen im künstlichen
Koma, Schmerzensgeld von 28.000 DM nicht zu niedrig).«7
II. Die Praxis deutscher Gerichte bei der
Schmerzensgeldberechnung
Untersucht man die Zumessungspraxis bei Schmerzensgeldern
durch die Gerichte in den letzten Jahren, so stellt man eine
signifikante Anhebung der Beträge fest. Das Schmerzensgeld,
insbesondere für schwere Verletzungen, fällt in der neueren
Rechtsprechung wesentlich höher aus als in der Vergangenheit.
Wurde 1979 die Grenze von 100.000 DM erstmals überschritten,9
so liegt das höchste bisher zuerkannte Schmerzensgeld inzwi-

schen bei ca. 615.000 €.1° In dem dieser Entscheidung zugrunde
liegenden Fall hatte der knapp vierjährige Kläger die denkbar
schwersten Verletzungen (u. a. Querschnittslähmung, Atem- und
Ernährungsprobleme) erlitten, die er bei einer möglicherweise
langen Lebenserwartung bei Bewusstsein zu tragen haben wird.
Besonders hohe Schmerzensgeldbeträge werden nach der
Rechtsprechung bei Fallgestaltungen wie schweren inneren Ver-
letzungen, Querschnittslähmung oder Zerstörung der Persön-
lichkeit zuerkannt.
Weiterhin sind bei den so genannten Geburtsschäden hohe
Schmerzensgeldzahlungen zu verzeichnen.2 Diese Entwicklung
1 »Polizeiliche Kriminalstatistik 2007« (http://www.bka.de/pks/pks2007/
pks2007_imk_kurzbericht.pdf): Mord und Totschlag: 2.347 erfasste Fälle;
Vergewaltigung und sexuelle Nötigung (§§ 177 Abs. 2, 3 und 4, 178 StGB):
7 511 erfasste Fälle; gefährliche und schwere Körperverletzung: 154.849
erfasste Fälle.
2 Polizeiliche Kriminalstatistik 2007« (http://www.bka.de/pks/pks2007/
pks2007_imk_kurzbericht.pdf): Misshandlung von Kindern: 2007 -
3.373 erfasste Fälle; 2006 - 3.131 erfasste Fälle; 2005 - 2.905 erfasste Fälle.
3 Oberhessische Presse 18.7.2008 unter Berufung auf eine Meldung der
DPA: Verkehrstote 2007: 4.949, Schwerverletzte: 75.443; Leichtverletzte:
355.976.
4 http://www.rki.de/cln_091/nn_197444/DE/Content/GBE/Gesundheits
berichterstattung/GBEDownloadsT/behand,templateld=raw,property=
publicationFile.pdf/behand.pdf.
5 Diese Zahl setzt sich zusammen aus: 217.923 Fällen von Gewaltkrimina-
lität (http://www.bka.de/pks/pks2007/pks2007imk kurzbericht.pdf);
368.434 Fällen von vorsätzlicher Körperverletzung (http://www.bka.de/
pks/pks2007/pks2007_imk_kurzbericht.pdf); 431.419 Verletzungen bei
Verkehrsunfällen (Oberhessische Presse 18.7.2008 unter Berufung auf
eine Meldung der DPA: Verkehrstote 2007:4.949, Schwerverletzte: 75.443;
Leichtverletzte: 355.976.); 40.000 Fällen ärztlicher Behandlungsfehler.
Ergibt in der Summe eine Anzahl von 1.057.776 jährlich auftretenden
Verletzungen.
6 HACKS/RING/BöHM Schmerzensgeldbeträge 2007, 25.Auflage, lfd.
Nr.2240 unter Berufung auf OLG Köln v. 16. 12. 1996, VersR 1997,
S.1102.
7 Palandt/Bürgerliches Gesetzbuch 67. Aufl. 2008, § 253 Rdn. 20.
8 DIEDRICHSEN Neues Schadensersatzrecht: Fragen der Bemessung des
Schmerzensgeldes und seiner prozessualen Durchsetzung, VersR 2005,
436 unter Berufung auf die Rechtsprechung.
9 ScHEF FEN Tendenzen bei der Bemessung des Schmerzensgeldes für
Verletzungen aus Verkehrsunfällen, ärztlichen Kunstfehlern und Pro-
duzentenhaftung, ZRP 1999, 189, 190, ohne Angabe des Ausgangsurteils.
10 LG Kiel, Urteil v. 1. 7.2003, Az 6 O 13/03 VersR 2006, 279. Das zuge-
sprochene Schmerzensgeld setzt sich zusammen aus einem Kapitalbetrag
in Höhe von 500.000 E und einer Schmerzensgeldrente, deren Kapitalwert
ca. 115.000,00 E beträgt.
11 Vgl. Erman/E B ERT BGB, 12. Auflage, § 253 Rdn. 21; MünchKommBGB/
OETKER BGB, 5. Auflage, §253 Rdn.39ff.; SLIZYK Beck'sche Schmer-
zensgeldtabelle, S.45 ff.
12 Wurden vom OLG Hamm bspw. im Jahre 1997 bei einem während der
Geburt schwerstgeschädigten Kind noch 500.000 DM zugesprochen, so
lag das Schmerzensgeld-ebenfalls bei einem Geburtsschaden-zuletzt bei
500.000 E (vgl. OLG Hamm, Urteile vom 16. 1.2002, Az. 3 U 156/00 und
vom 23.5.2003, Az. 3 U 122/02). In beiden Fällen kam es zu schwersten
Hirnschäden, die zu einer weitgehenden Zerstörung der Persönlichkeit
sowie der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit führten. Ebenfalls

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