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2008 Juristische Rundschau 1 (2008)

handle is hein.journals/jrcerdau80 and id is 1 raw text is: Januar Heft 1/2008

Das Recht auf Besichtigung von Sachen
Von Wiss. Mitarbeiter Christoph Schreiber, Kiel*

1. Einleitung
Entgegen ihrer praktischen Relevanz führen die materiell- und
verfahrensrechtlichen Vorschriften über das Recht auf Besichti-
gung von Sachen in der wissenschaftlichen Betrachtung ein
Schattendasein. Die zentrale Bedeutung in der Praxis ergibt sich
zunächst daraus, dass der gerichtlichen Geltendmachung eines
Anspruchs grundsätzlich die Erforschung des Sachverhalts durch
den Anspruchsteller vorausgeht. Erst wenn er sich über das
Bestehen oder die Werthaltigkeit seines Rechtes Gewissheit ver-
schafft hat, wird er zur Durchsetzung des Anspruchs schreiten.
Häufig sind die anspruchsbegründenden Tatsachen indessen in
einer Sache - insbesondere in einer Urkunde - verkörpert, die
sich nicht im Besitz des Anspruchstellers befindet. Er hat darum
ein Interesse daran, die Sache vorlegen lassen zu können oder
besichtigen zu dürfen. Aber auch im Prozess kommt der Besich-
tigung von Sachen eine zentrale Bedeutung zu. So kann sie zum
einen für das Gericht bei der Aufarbeitung des Tatsachenvortrags
maßgeblich zur vollständigen Sachaufklärung beitragen. Zum
anderen entscheidet im Rahmen der Beweisaufnahme die Vor-
legung einer Sache oder Einsichtnahme in eine Urkunde oft über
den Ausgang des Verfahrens: Kann die beweisbelastete Partei den
Beweis nicht erbringen, so verliert sie regelmäßig den Prozess.
II. Besichtigung von Sachen außerhalb des Prozesses
1. Materiellrechtliche Ansprüche
Eine Vielzahl an materiellrechtlichen Bestimmungen gewährt
Informations-, Einsichts-, Herausgabe- und Vorlageansprüche,
auf die sich der Gläubiger im Vorfeld eines Prozesses zur Ermitt-
lung der relevanten Tatsachen berufen kann.' Allgemeine Rege-
lungen über das Recht auf Besichtigung einer Sache und auf
Einsichtnahme einer Urkunde außerhalb bestehender Rechts-
verhältnisse zwischen dem Anspruchsteller und dem Besitzer
enthalten die §§ 809, 810 BGB.
a) Besichtigung von Sachen gem. § 809 BGB
§ 809 BGB gewährt demjenigen ein Besichtigungsrecht, der gegen
den Besitzer einer Sache einen Hauptanspruch in Ansehung der
Sache hat oder feststellen will, ob ein solcher besteht. Daneben
muss der Gläubiger ein besonderes Interesse an der Besichtigung
haben. Unter diesen Voraussetzungen ist der Besitzer der Sache
verpflichtet, dem Anspruchsteller die Sache zur Besichtigung
vorzulegen oder die Besichtigung zu gestatten.
aa) Besichtigungsgegenstand
Der Besichtigungsgegenstand muss eine Sache, also gem. §90
BGB ein körperlicher Gegenstand sein. Mag die Subsumtion
unter diesen Begriff auch in den meisten Fällen keine größeren
Schwierigkeiten bereiten, kann das Vorlegungsbegehren aber
dennoch bereits an diesem Tatbestandsmerkmal scheitern. So
kann der Anspruch aus § 809 BGB mangels Sacheigenschaft des
menschlichen Körpers zu Lebzeiten des Menschen2 nicht etwa

auf die Gestattung einer ärztlichen Untersuchung oder einer
Blutentnahme gerichtet sein.3
Über die Charakterisierung des Leichnams als Sache herrscht
hingegen bekanntlich Dissens.4 Die Beantwortung dieser Frage
ist im Hinblick auf einen Anspruch aus § 809 BGB auf Exhu-
mierung, Leichenschau oder Öffnung der Leiche fallentschei-
dend.' Selbst wenn man den Leichnam als Sache ansieht, darf für
die Dauer der Totenehrung6 das auch nach dem Tode fortwir-
kende besondere Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen an sei-
nem Körper nicht verletzt werden.7 Im Einzelfall kann dies dem
Anspruch aus § 809 BGB entgegenstehen.
Eine zentrale Rolle spielt die Sacheigenschaft ferner im Urhe-
berrechtsprozess, wenn es um Computerprogramme und die
Einsicht in deren Quellcode8 oder um die Erfassung urheber-
rechtswidriger Installationen9 geht.
Ferner ist auf § 809 BGB zurückzugreifen, wenn Gegenstand
des Besichtigungsbegehrens eine Urkunde ist und entweder die
Voraussetzungen des § 810 BGB nicht vorliegen10 oder es dem
Anspruchsteller darum geht, sich Gewissheit zu verschaffen, ob
ihm ein Anspruch nach § 810 BGB zusteht.
* Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschafts-
und Steuerrecht einschließlich Wirtschaftsstrafrecht der Christian-Al-
brechts-Universität zu Kiel (Lehrstuhl Professor Dr. Michael Fischer).
1 Vgl. etwa §§ 259, 260, 371, 402, 410, 666, 667, 675 a, 681 S. 2, 687 Abs. 2
S.1, 713, 716, 896, 985 i.V.m. 952, 1144, 1145 Abs. 1 S.2, 1698, 1799
Abs. 2, 1840, 1890, 2130 Abs. 2,2218 Abs. 1, 2314 BGB; §§ 87 c Abs. 4, 101,
118, 166, 233 HGB; §51 a GmbHG; §§111 Abs.2, 129 Abs.4, 131 AktG;
§ 101 a UrhG; § 24 b GebrMG; § 140 b PatG; §§ 8, 9, 10 UmweltHG; § 19
MarkenG; §35 GenTG.
2 HK-BGB/DöRNER 5.Aufl. 2007, §90 Rdn.3; Staudinger/JICKELI/
STIEPER (2004) § 90 Rdn. 18; V I E W E G /WERNER Sachenrecht, 2. Aufl.
2005, Rdn.12; WIELING Sachenrecht, Bd.1, 2.Aufl. 2006, §2 II 2 a
(S.63); WILHELM Sachenrecht, 2.Aufl. 2002, Rdn.34; a.A. BRUNNER
NJW 1953, 1173 f.
3 Palandt/SPRAu 66.Aufl. 2007, §809 Rdn.3; Soergel/MÜHL 11.Aufl.
1985, §809 Rdn. 1; Staudinger/MARBURGER (2002) §809 Rdn. 1; vgl.
aber § 372 a ZPO, ferner §§ 81 a, 81 c StPO.
4 Gegen die Sacheigenschaft etwa HK-BGB/DöRNER 5.Aufl. 2007, §90
Rdn.3; LARENZ/WOLF Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts,
9. Aufl. 2004, § 20 Rdn. 9; W I E L IN G Sachenrecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2006,
§2 112 b (S.63); dafür etwa MünchKommBGB/Ho L CH 5. Aufl. 2006,
§ 90 Rdn.32; Staudinger/JI C K E L I /ST I E P E R (2004) § 90 Rdn. 28; W IL -
HELM Sachenrecht, 2.Aufl. 2002, Rdn.34.
5 Anders Staudinger/MARBURGE R (2002) § 809 Rdn. 2, der sich für eine
analoge Anwendung der Vorschrift auf die Leichenschau ausspricht.
6 Zum Ende der Totenehrung s. Staudinger/JICKELI/STFIEPER (2004)
§ 90 Rdn. 40 m. w. N.
7 Dazu näher Staudinger/JICKELI/STIEPER (2004) §90 Rdn.30, 34 ff.
8 Dazu BGH GRUR 2002, 1046 (FA X K A R T E); OLG Hamburg ZUM 2005,
394; OLG Frankfurt a. M. NJW-RR 2006, 1344; Co N RAD ITRB 2005, 12,
15.
9 KG NJW 2001, 233; LG Nürnberg-Fürth MMR 2004, 627 m. Anm.
SÜSSENBERGER; näher BORK NJW 1997, 1665, 1668ff.
10 RGZ 69, 401, 405£; SAss Die Beschaffung von Informationen und
Beweisen, 2002, S. 79; Staudinger/MARBURGER (2002) §809 Rdn.4.
11 MünchKommBGB/H ÜF F ER 4. Aufl. 2004, § 809 Rdn. 2; Palandt/S P RAU
66. Aufl. 2007, §809 Rdn. 3; SA ss Die Beschaffung von Informationen
und Beweisen, 2002, S.79 f.; Staudinger/MA R BURGE R (2002) §809
Rdn. 4.

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