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1992 Juristische Rundschau 1 (1992)

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RUNDSCHAU
1992    Januar  Heft 1, S.1

Der Schwarzfahrer auf dem Prüfstand des §265a StGB*
Von Professor Dr. Hero Schall, Osnabrück

Die Tatbestandsmäßigkeit der Beförderungserschleichung
i. S. d. 5265 a StGB - das sog. Schwarzfahren - wird ange-
sichts des zunehmenden Abbaus der Kontrollmaßnahmen
durch die Verkehrsbetriebe in jüngster Zeit sowohl in der
Rechtsprechung als auch in der Literatur in Frage gestellt. Eine
kritische Überprüfung mit Hilfe der verschiedenen Auslegungs-
methoden erweist diese Zweifel für die Fälle der unbefugten
Inanspruchnahme einer unkontrolliert angebotenen Beförde-
rungsleistung als begründet: Das Tatbestandsmerkmal ‹Er-
schleichen setzt eine vom Berechtigten unbemerkte Umgehung
der gegen eine unerlaubte Benutzung getroffenen Sicherungs-
vorkehrungen voraus. Dieses Ergebnis wird auch durch krimi-
nalpolitische Überlegungen gestützt.
1. Die aktuelle Problematik
Die in der Bevölkerung offenbar beliebte, jedenfalls
häufig praktizierte Beförderungserschleichung hat nach
einer längeren Periode eines insoweit eher stiefmütterli-
chen Daseins in jüngster Zeit erhöhte Aufmerksamkeit
sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Straf-
rechtsliteratur gefunden, seit Alwart mit seiner Klage
‹Über die Hypertrophie eines Unikums (§ 265 a StGB)z
nicht nur in sprachlicher Hinsicht neugieriges Interesse
geweckt3, sondern die Vorschrift zugleich inhaltlich in
weiten Teilen paralysiert hat: Wer ohne Zahlungswillen
eine entgeltliche Beförderungsleistung in Anspruch
nehme, dabei aber nur die allgemeine Öffnung der Mas-
senverkehrsmittel ausnutze, handle nicht tatbestandsmä-
ßig i. S. d. § 265 a. Diese der bisher überwiegenden Auf-
fassung zuwiderlaufende These fand nahezu unmittelbar
Eingang in die Judikatur, was angesichts des im allgemei-
nen eher als distanziert bis zögerlich zu bewertenden
Rezeptionsverhaltens der Praxis gegenüber der Wissen-
schaft schon bemerkenswert genug ist -    Gefolgschaft
fand sie dort allerdings nur auf der Ebene der Amtsrich-
ter4, die Revisionsrichter dagegen zeigten sich von der
Klage Alwarts letztlich unbeeindruckt und hoben die
mutigen Entscheidungen ihrer Amtsrichter wieder auf.
Das jüngste zu dieser Streitfrage ergangene Urteil des
OLG Hamburg fügt sich im Ergebnis in den Reigen
dieser Revisionsentscheidungen ein, verdient aber beson-
deres Interesse zum einen wegen des auslegungsmethodi-
schen Begründungsaufwandes, zum anderen wegen einer
in der Begründung sich andeutenden Zuspitzung des
Problems, die auf den Anwendungsbereich des § 265 a
erhebliche Auswirkungen hat. Ging es bei den vorange-
gangenen Entscheidungen ausdrücklich nur um die - im
Ergebnis verneinte - Frage, ob das Fehlen einer
Zugangskontrolle dem tatbestandsmäßigen Erschleichen
im Sinne des § 265 a entgegensteht', so erweckt die
Begründung des 2. Senats des OLG Hamburg den Ein-

druck, daß eine Beförderungserschleichung sogar beim
Fehlen jeglicher Kontrolle zu bejahen sei6.
Da -     wie der Senat zunächst zutreffend feststellt -
andere Strafvorschriften bei der zu entscheidenden Fall-
konstellation nicht eingreifen7, die sonstigen Vorausset-
zungen des § 265 a aber unstreitig vorliegen8, hängt die
Strafbarkeit des unkontrollierten Schwarzfahrers allein
ab von der Beantwortung der Frage, ob das im Sinne des
§ 265 a tatbestandsmäßige Erschleichen schon bei jeder
unbefugten, nach außen hin ordnungsgemäßen Inan-
spruchnahme der entgeltlichen Beförderungsleistung
erfüllt ist oder aber darüber hinaus noch die Umgehung
von Kontrollen bzw. Sicherungsmaßnahmen voraussetzt.
II. Das Tatbestandsmerkmal des Erschleichens
im Lichte der Auslegungsmethoden
1. Die Grenzen der wortlautadäquaten Auslegung
Erste Bedenken erweckt die Berufung des Senats auf
den möglichen Wortsinn des Gesetzes, der auch noch die
oben genannte weite Interpretation des Merkmals
Erschleichen zulasse. Die heute in der Rechtsprechung
und in weiten Teilen des Schrifttums konsentierte Mini-
malvoraussetzung, der Täter müsse sich bei der unbefug-
' Zugleich Besprechung des Urt. des HansOLG Hamburg vom 18.12. 1990 -
s. unten in diesem Heft S.40 f. - §§ ohne Gesetzesangabe sind i. f. solche des StGB.
' Falkenbach (Die Leistungserschleichung [§265a StGB], Kriminalwiss.
Abadlg. Bd.18, 1983, S.114ff, 124f m.w.N.) schätzt die Dunkelziffer auf
1:500-600 und hält für die Bundesrepublik (1983) eine Gesamtzahl von ca. 30
Mio. Schwarzfahrten pro Jahr für realistisch. Zur Deliktshäufigkeit in Hamburg s.
Alwart, JZ 1986, 563.
^ JZ 1986, 563 ff.
' Dem sprachlich weniger kundigen Leser steht P.-A. Albrecht hilfreich mit
einer Übersetzung bei (NStZ 1988, 222).
4 S. etwa AG Hamburg, Urt. v. 11.3.87, NStZ 1988, 221; s. ferner die die
amtsrichterlichen Freisprüche aufhebenden Urteile des HansOLG Hamburg (in
diesem Heft, S.40 f) sowie des OLG Stuttgart, Urt. v. 10.3.89, OLGSt. §265 a
Nr.2. Der These Alwarts angeschlossen haben sich auch P.-A.Albrecht, NStZ
1988, 222 ff; Fischer, NJW 1988, 1828f; zweifelnd, aber wohl auch in diese
Richtung tendierend: Lenckner in Schönke/Schröder, StGB, 23.Aufl. (1988),
§ 265 a, Rdn.11 i. V. m. Rdn.8B.
§5S. dazu besonders die ausdrückliche Differenzierung des OLG Stuttgart,
OLGSt. § 265 a Nr.2 (S.3).
6 Dieser Eindruck drängt sich deshalb auf, weil: erstens Zeitpunkt und Art der
- für die Entdeckung des Angeklagten ja in der Regel zwangsläufigen - nachfol-
genden Kontrolle nicht angesprochen werden; zweitens ganz generell festgestellt
wird, daß eine Kontrolle im Vertrauen auf die Redlichkeit des Fahrgastes heute
nicht mehr stattfinde; drittens das Fehlen eines zur Entgegennahme der konkludent
wahrheitswidrigen Erklärung (des Schwarzfahrers) bereiten Erklärungsempfängers
generell für unerheblich erklärt wird (vgl. demgegenüber die ausdrückliche Diffe-
renzierung des OLG Stuttgart, OLGSt. § 265 a Nr.2 [S.3] !). - Für eine derart
weite Auslegung des Tatbestandes offenbar auch Maurach/Schroeder/Maiwald,
Strafrecht BT 1, 7. Aufl. (1988), S.464.
' Auch bezüglich des § 123 fehlt es bereits an der Tatbestandsmäßigkeit, da
sich der Schwarzfahrer äußerlich im Rahmen der generellen Eintrittserlaubnis hält
und daher trotz der Verfolgung eines widerrechtlichen Zweckes nicht das in diesen
Räumen geschützte Rechtsgut verletzt. S. näher dazu unten bei Fn.43.
Auch das Vorliegen eines Vermögensschadens wird trotz unterschiedlicher
Begründung im Ergebnis übereinstimmend bejaht - vgl. nur Maurach/Schroeder/
Maiwald aaO (Fn. 6), S.464 sowie ausführlich dazu Alwart, JZ 1986, 565.

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