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2012 Freilaw: Freiburg L. Students J. 1 (2012)

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                        Der Umgang mit gef5hrlichen Straftatern


                              im   europhischen Vergleich - Teil 1



                                                 stud. jur. Linn Doring*

Seit Deutschland   vom   EGMR bzgl.   seiner  nachtr~glichen  Sicherungsverwahrung verurteilt wurde, stellt   sich  die
Frage, was  gerade  wir Deutschen   im Umgang   mit gefahrlichen Straftatern falsch machen.  Schauen   wir Ober unsere
Grenzen   hinweg,  wird deutlich, dass von  den 47  Staaten  des Europarats   neben  Deutschland   nur sieben  Lnder1
ein vergleichbares  Instrument wie die Sicherungsverwahrung besitzen' und die wenigsten Lnder ein zweispuriges
System   verfolgen. ,Warum   wir- und  nicht die  anderen?  Seine  Ausnahmestellung setzt Deutschland unter den
Druck  sich rechtfertigen zu massen.  Aber  die Frage kann  auch  anders  herum  gestellt werden: warum  machen   an-
dere Lnder   das  nicht so wie wir?

Der  folgende  Beitrag in drei Teilen stellt sich dem Thema,  wie  auf sog. ,,gefahrliche Straftater rechtsdogmatisch
und  rechtstatsachlich in einzelnen europaischen   L~ndern   reagiert wird und zeigt abschlielend   auf, was Deutsch-
land m6glicherweise   von ihnen lernen kann.


I. ,,Strafen? Die  Sicherungsstrafe   am   Beispiel  Eng-
land

England ist fir eine sehr repressive Strafrechtspolitik bekannt'.
Insofern verwundert es nicht, dass es auch in Bezug auf ge-
fdhrliche Straftiiter allein mit sehr hohen Strafen reagiert. Wie
und warum   es zu dieser allein strafenden Reaktion kam, soll
im Folgenden dargestellt werden.

1. Ein kurzer  geschichtlicher  Abriss:  Von  der Einspu-
rigkeit zur Zweispurigkeit

Das  Problem  der sog. gefhrlichen  Straftiiter stellte sich in
England  erst nach dem Siegeszug der Freiheitsstrafe und dem
                          2
Ende  der Deportationsstrafe . 1908 wurde mit dem Prevention
of Crime  Act ein auf gefahrliche Straftiter gemtinztes zwei-
spuriges System eingeftihrt3. Gefihrlich waren hier Titer, die
zu mindestens  drei Jahren Haft verurteilt und seit ihrem 16.
Lebensjahr mindestens dreimal straffallig geworden waren, ein
stiindig unehrliches und verbrecherisches Leben geftihrt hatten
und deren  Verwahrung  zum  Schutz der Allgemeinheit erfor-
derlich war4. Gegen sie konnte zum Schutz und zu ihrer Besse-
rung im  Anschluss an  die Freiheitsstrafe eine Priiventivhaft-
strafe bis zu zehn Jahren verhiingt werden 5. Der weite Anwen-
dungsbereich fhfirte jedoch dazu, dass die Richter an der Prii-
ventivhaftstrafe vorbei urteilten, indem sie bei besonders
schweren  Verbrechen von der Verwahrung   absahen, da ihnen
die Strafen lang genug erschienen und sie die Kumulation von
Strafe und Malregeln  nicht anerkannten6. Infolgedessen ver-
ringerte sich der Abstand der Strafzeit von Titern mehrerer


*Die Autorin ist Studentin der Rechtswissenschaften an der Albert-Ludwigs-
Universitit Freiburg.
' Vgl. auch Forster, in Sieber/Cornils, 127, 186f.
2 Zuvor entledigte man sich unliebsamen Rechtsbrechern, indem man sie in
ferne Kolonien deportierte oder mit der Todesstrafe ahndete, vgl. Radzino-
wicz/Hood, MLR 1980, 1305, 1308; Sturm, 17.
Ashworth, 183; Huber, in Jescheck, 157, 168; Kinzig, 533.
4 Vgl. Geisler, 40f.; Kinzig, 533.
Kinzig, 533; Allen, ZStW 80, 163, 165.
6 Hood/Sparks, 156; Floud/Young, 79; Geisler, 42.


kleinerer Vergehen zu itern von besonders schwerwiegenden
Verbrechen.

1948 kehrte England daher mit dem  Criminal Justice Act wie-
                            '7
der zur Einspurigkeit zurick . Statt einer Maregel war nun
eine spezielle Ilingere Strafe fir rtickfillige und gefhrliche
Straftiter anstelle der nach der Einzeltatschuld gemessenen
Strafe vorgesehen. 1967  folgte die Einftihrung der extended
sentences, die es erlaubten, bei Wiederholungsverbrechern aus
Grinden   des  Schutzes  der Offentlichkeit die gesetzliche
Hdchstfrist der Freiheitsstrafe auszuweiten . Die Praxis wandte
die spezielle Strafe allerdings wiederum vor allem gegentiber
Ilistigen Kleinkriminellen und nicht gegentiber schweren Ge-
waltverbrechern an9 und  weitete stattdessen die lebenslange
Freiheitsstrafe ffir schwere Gewalttiiter auslo. Das langwierige
Bemihen   den  Anwendungsbereich   auf schwere  Gewalttiiter
einzuengen, das sich bis zum Criminal Justice Act 1991 zog,
ist insofern ein Charakteristikum der englischen Geschichte.
Schlusspunkt der Entwicklung bilden der Criminal Justice Act
2003  und der ihn ergiinzende Criminal Justice Act 2008, auf
deren Regelungen im Folgenden  eingegangen wird.

2. Die aktuellen  Regelungen

Seit dem Criminal Justice Act 2003 teilt das englische Straf-
recht die Straftiiter grundsiitzlich in gefihrlich und nichtgefihr-
lich ein 2. Gefahrlich sind nur die Gewalt- und Sexualstraftiiter,
gegen die in den Sections 224-263 als sichernde Reaktionsmit-
tel drei unterschiedliche besondere Strafen aufgeftihrt werden,
die ab dem  18. Lebensjahr angeordnet  werden kdnnen  3. So
kann der Richter im Rahmen  einer zeitigen Freiheitsstrafe eine
verlingerte Bewhrungsdauer (extended sentence), eine in


Huber, in Jescheck, 160, 202.
SFloud/Young, 81.
West, 100; Kinzig, 534ff.; Huber, in Jescheck, 160, 171.
o Kinzig, 538.
 Ashworth, 183f.; Sturm, 21f.
12 Gibson/Watkins, 36; Sturm 33; Ashworth/Player, MLR 2005, 822, 836.
 das Jugendlichsein wird jedoch oft mildernd in der Strafzumessung bertick-
sichtigt, vgl. Sturm, 60f.; Forster, in Sieber/Cornils, 127, 164.


www.freilaw.de


Dbring, Der Urngang mit gefahrlichen Straftatern im eurp. Vergleich


Strafrecht


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